Schaufenster in die Reformationsgeschichte

Das Ausstellungsmodul des Projekts präsentiert in einem „Schaufenster“ ausgewählte Dokumente aus der Reformationszeit. Ergänzend zum Digitalisat finden sich jeweils eine Transkription, eine historische Erläuterung und eine Übertragung ins moderne Deutsch, in einigen Fällen auch ins Englische. So werden die Inhalte auch für den heutigen Leser mit geringeren Vorkenntnissen verständlich.
 

Die Dokumente sind verschiedenen, teils auch mehreren Schlagworten zugeordnet. So findet man z. B.  die Bannandrohungsbulle gegen Martin Luther unter „Leo X.“ oder unter „Martin Luther“ wieder.

Viel Vergnügen beim Stöbern und Erkunden!

Luther fordert von Kurfürst Johann von Sachsen die Durchführung der Kirchen- und Schulvisitation im ganzen Land und bittet darum, dass Karlstadt in Kemberg wohnen dürfe

Signatur:
ThStA Altenburg, Archivaliensammlung Z, Nr. 58
Seitenangabe:
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Datierung:
22. November 1526
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Wichtige Orte:
4066640-2
Verweis auf andere Quellen:
Einen Überblick über weiteres Quellenmaterial liefert: Rudolf Herrmann, Die Kirchenvisitationen im Ernestinischen Thüringen vor 1528, in: Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte 1, 1929-1931, S. 167-230.
Historische Einordnung:
Erste kirchliche Visitationen lassen sich bereits weit vor der Reformationszeit nachweisen. Bei diesen handelte es sich um Besuche kirchlicher Amtsträger in den Gemeinden oder geistlichen Einrichtungen, die deren Aufsicht unterstanden. Der Zweck dieser Visitationsreisen bestand in der Überprüfung der jeweiligen kirchlichen Verhältnisse direkt vor Ort. In Augenschein genommen wurden beispielsweise die Amtsausübung der Geistlichen sowie die finanzielle und materielle Ausstattung der Kirchen. Schon im 4. Jahrhundert wurden solche Kontrollbesuche zu einer festen, geordneten Einrichtung der bischöflichen Gewalt. Bis ins ausgehende Mittelalter verlor die Institution der Visitation jedoch zunehmend an Bedeutung.
Im 16. Jahrhundert erfuhr das Visitationswesen im Zuge der Reformation und der sich anschließenden Zeit der Verfestigung der verschiedenen christlichen Bekenntnisse schließlich eine erneute Entfaltung, wobei sowohl die Evangelischen, die Reformierten als auch die Altgläubigen das Instrument der Visitation nutzten. Hierbei war es ein wichtiges Merkmal der evangelischen und reformierten Visitationen, dass der jeweilige Landesherr den Auftrag für diese nun selbst erteilte. Das Abhalten von Visitationen ermöglichte es der Obrigkeit, über die durch sie beauftragten Visitatoren Einblick in die kirchlichen Zustände in den einzelnen Gemeinden ihres Herrschaftsgebiets zu nehmen, also zum Beispiel die Amts- und Lebensführung der Pfarrer und Prediger oder das sittliche Verhalten und die religiösen Kenntnisse der Gemeindemitglieder zu überprüfen. Ausgehend von den jeweiligen Befunden konnten dann gezielte Einzelfallregelungen getroffen werden. So ließen sich während einer Visitation beispielsweise ungeeignete Geistliche ermitteln und im Anschluss durch passendere Personen ersetzen. Aber auch allgemeine kirchliche Verordnungen wurden im Zuge von Visitationen erlassen und deren Einhaltung bei nachfolgenden Visitationen überprüft. Gleichzeitig boten die Visitationen eine Möglichkeit, das Kirchenwesen in den jeweiligen Herrschaftsgebieten neu zu organisieren. So konnten die Visitatoren auf der Grundlage der vor Ort eingeholten Informationen zum Beispiel über eine bedarfsorientierte Zusammenlegung einzelner Gemeinden die seelsorgerische Betreuung und die Finanzierung der Pfarreien neu regeln. Insofern ist den nachreformatorischen Visitationen auch eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung und der Festigung der reformatorischen Lehre und bei der Neustrukturierung des Kirchenwesens in den protestantischen Territorien zuzuschreiben.
Beim Aufbau eines solchen nachreformatorischen Visitationswesens darf Kursachsen als Vorreiter gelten. Bereits 1525 wurden im Eisenacher Gebiet erste Visitationsversuche unternommen. 1528 erschien hier zudem Philipp Melanchthons „Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherren im Kurfürstentum Sachsen“ mit einem Vorwort Martin Luthers. Diese Schrift wurde zur Grundlage für die weitere kursächsische Visitationstätigkeit und darüber hinaus auch von anderen protestantischen Obrigkeiten herangezogen.
Die Anregung, im Kurfürstentum Sachsen Visitationen durchzuführen, kam unter anderem vom Reformator Martin Luther. Dieser hatte bereits in einem Schreiben an Kurfürst Johann vom 30. November 1525 vorgeschlagen, das Kurfürstentum visitieren zu lassen. Hierzu sollte das Herrschaftsgebiet in mehrere Bezirke aufgeteilt und jeder dieser Bezirke durch zwei Personen, die sich im Zuge der Visitation über die Einkünfte der jeweiligen Pfarreien informieren sollten, visitiert werden. Luther ging es bei seinem Vorschlag vor allem darum, den finanziellen Bedarf der Geistlichen zu erfragen und deren finanzielle Versorgung zu sichern. Anfang des Jahres 1526 fanden dann tatsächlich Visitationen einzelner kursächsischer Ämter statt. Luthers Schreiben hatte also offenbar Wirkung gezeigt. Am 22. November 1526 wandte sich Luther erneut mit einem Schreiben an Kurfürst Johann. In diesem bemängelte er die schlechte finanzielle Absicherung der Geistlichen und der Schulen. Er empfahl, das Kurfürstentum durch vier Personen visitieren zu lassen. Diese sollten die Finanzierung der Pfarrstellen und der Schulen vor Ort regeln und sicherstellen. Kurfürst Johann reagierte positiv auf Luthers Anliegen. Nach längeren Beratungen über die genaue Durchführung der Visitation wurde diese schließlich im Juli 1527 in Weida begonnen. Wegen äußerer Umstände wurde die Visitation allerdings einige Zeit später unterbrochen und im September 1527 in Altenburg abgebrochen. In den Jahren 1528 bis 1531 fand dann endlich die erste landesweite Visitation im Kurfürstentum Sachsen statt.
Literatur:
C[arl] A[ugust] H[ugo] Burkhardt, Geschichte der sächsischen Kirchen- und Schulvisitationen von 1524 bis 1545. Leipzig 1879, S. 15-16.
Rudolf Herrmann, Die Kirchenvisitationen im Ernestinischen Thüringen vor 1528, in: Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte 1, 1929-1931, S. 167-230, hier S. 191-192, 201.
Heiko Jadatz, Wittenberger Reformation im Leipziger Land. Dorfgemeinden im Spiegel der evangelischen Kirchenvisitationen des 16. Jahrhunderts. (Herbergen der Christenheit, Sonderband 10.) Leipzig 2007, S. 51.
Helmar Junghans, Die Ausbreitung der Reformation von 1517 bis 1539, in: Ders. (Hrsg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen. Festgabe zum 450jährigen Bestehen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Berlin 1989, S. 33-66, hier S. 49-50.
Veröffentlichungen des Thüringischen Staats-Archivs Greiz, eingeleitet und herausgegeben von Friedrich Schneider. Heft 4: Ausgewählte Urkunden zur Geschichte von Altenburg. Rudolstadt 1925, Nr. 6 [Faksimile].
Nachweis früherer Editionen:
Dr. Martin Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedenken, vollständig aus den verschiedenen Ausgaben seiner Werke und Briefe, aus andern Büchern und noch unbenutzten Handschriften gesammelt, kritisch und historisch bearbeitet von Wilhelm Martin Leberecht de Wette. 3. Teil. Luthers Briefe von seiner Verheurathung bis zu seinem Aufenthalt auf der Koburger Veste während des Reichstags zu Augsburg. Berlin 1827, Nr. 828, S. 135-137.
Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Briefwechsel. 4. Bd. Weimar 1933, Nr. 1052, S. 133-135.
Bemerkung:
S. zum Ausstellungsort z. B. Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Briefwechsel. 4. Bd. Weimar 1933, Nr. 1052, S. 133-135.