Schaufenster in die Reformationsgeschichte

Das Ausstellungsmodul des Projekts präsentiert in einem „Schaufenster“ ausgewählte Dokumente aus der Reformationszeit. Ergänzend zum Digitalisat finden sich jeweils eine Transkription, eine historische Erläuterung und eine Übertragung ins moderne Deutsch, in einigen Fällen auch ins Englische. So werden die Inhalte auch für den heutigen Leser mit geringeren Vorkenntnissen verständlich.
 

Die Dokumente sind verschiedenen, teils auch mehreren Schlagworten zugeordnet. So findet man z. B.  die Bannandrohungsbulle gegen Martin Luther unter „Leo X.“ oder unter „Martin Luther“ wieder.

Viel Vergnügen beim Stöbern und Erkunden!

Thomas Müntzer ermahnt die Stadt Mühlhausen zur Standhaftigkeit

Signatur:
StA MR, Best. 3, Nr. 209
Seitenangabe:
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Datierung:
8. Mai 1525
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Wichtige Orte:
4040466-3, 4018101-7
Historische Einordnung:
Thomas Müntzers Schreiben an den Rat der Reichsstadt Mühlhausen vom 8. Mai 1525 entstand auf dem Höhepunkt der Bauernerhebung. Es enthält letzte Anweisungen, bevor er sich auf den Weg zu dem Bauernhaufen machte, der bei Frankenhausen lagerte und dort am 15. Mai von der vereinten Fürstenkoalition vernichtend geschlagen werden sollte. Müntzer warnt bei seinem Abschied die Stadtoberen vor Verrätern in den eigenen Reihen und spricht ihnen Mut für die bevorstehenden Tage zu. So klar diese Botschaft ist, so unklar bleiben mangels weiterer Quellen die genauen Bezüge und Anspielungen: In dem ungenannten Verräter sah man langezeit den Mühlhäuser Prädikanten Heinrich Pfeiffer (vor 1500–1525), der zeitweise zu den engen Vertrauten Müntzers gezählt hatte und sich dann von ihm abwandte. Dann wurde der Name des Ratssyndikus Johann von Otthera genannt, der auf die Seite der Fürsten übergetreten war. Aber ebenso klar ist, dass Müntzer von einer ganzen Gruppe spricht („solche auffrurysche leuthe“), die sich seinen Zielen entgegenstellte. Daher können auch allgemein diejenigen gemeint sein, die sich Müntzers Plan, nach Frankenhausen zu ziehen, widersetzten. Sie sollten nun vor ein ebenso unbestimmtes Gremium – den städtischen Rat? Oder ein Koordinierungsgremium des Bauernhaufens? – einbestellt und „auf Linie gebracht“ werden. Müntzer spricht von ihrer Einvernahme, aber ebenso deutlich auch vom Strafen, sofern das Zureden nicht mehr ausreichen sollte. Man sieht daran, dass die Bewegung weitaus weniger homogen war, als sie sich nach außen hin darstellte. Kurz vor der Entscheidungsschlacht musste Druck auf die eigenen Reihen ausgeübt werden, um sie zusammenzuhalten und eine Erosion von innen heraus zu verhindern. Wie immer bei Müntzer ist diese höchst weltliche Absicht in ein großes heilsgeschichtliches Welttheater eingebettet: Er spricht vom Wirken des Satans, der sich der Abtrünnigen („sein eygnen gefhesz“) für seine Absichten bediene, aber auch vom Erzverräter Judas, der, so seine Hoffnung, sobald er sich zeigt, gestellt werden würde. Müntzer bittet, vor seinem Weggang noch einmal die Gemeinde einzuberufen, um ihr diese Zusammenhänge vor Augen zu stellen. Sofern diese Versammlung zustande kam, wäre das sein letzter öffentlicher Auftritt in der Stadt gewesen. In der Unterschrift bezeichnet er sich programmatisch als „eyn knecht Gottis“. Diese und ähnliche Selbstbezeichnungen („ernster Knecht“/„williger Botenläufer Gottes“) verwendete er seit 1520/21 anstelle der akademischen Grade. Sie zeugen von seinem Bewusstsein, in unmittelbarem Kontakt mit Gott zu stehen. Mit der Aufmunterung „Habt eynen guten muth!“ und Segenswünschen beendet Müntzer seine kurze Nachricht an den Rat. Wie ihr Inhalt bleibt auch ihr Schreibanlass rätselhaft, da Müntzer nur eine kurze Wegstrecke vom Rathaus entfernt wohnte. Aufgrund des Fehlens äußerer Spuren einer Versendung bleibt auch offen, ob sie überhaupt übergeben wurde. Vermutlich waren Form und Inhalt der Mitteilung der Eile geschuldet, mit der er zum Aufbruch rüstete. Das Schreiben gibt somit die Stimmung kurz vor der militärischen Konfrontation wieder, eine eigenartige Mischung aus Unsicherheit, latenten Konflikten, Durchhalteparolen, Repression und eschatologisch begründeter Zuversicht. Es ist zugleich Müntzers letzte eigenhändige Mitteilung an die Mühlhäuser. Nur noch einmal, am 17. Mai, nach der Niederlage von Frankenhausen, sollte er sich aus der Gefangenschaft in Heldrungen mit einer langen Rechtfertigungsschrift an sie wenden. Sie ist einem Schreiber diktiert. Nach den Verhören unter Folter war er wohl nicht mehr in der Lage dazu, selbst die Feder zu führen.
Literatur:
Walter Elliger, Außenseiter der Reformation: Thomas Müntzer. Ein Knecht Gottes. (Kleine Vandenhoeck-Reihe, Bd. 1409.) Göttingen 1975.
Walter Elliger, Thomas Müntzer. Leben und Werk. Göttingen 1975, S. 723–725.
Hessen und Thüringen – Von den Anfängen bis zur Reformation. Eine Ausstellung des Landes Hessen. Wiesbaden 1992, S. 285, Nr. 530 b (Hans Schneider).
Günter Vogler, Gemeinnutz und Eigennutz bei Thomas Müntzer. In: Siegfried Bräuer/Helmar Junghans (Hrsg.), Der Theologe Thomas Müntzer. Untersuchungen zu seiner Entwicklung und Lehre. Berlin 1989, S. 174–194, bes. 177 f.
Nachweis früherer Editionen:
Thomas Müntzer, Briefwechsel. Bearbeitet und kommentiert von Siegfried Bräuer/Manfred Kobuch. (Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 2.) Leipzig 2010, S. 440–442, Nr. 131.
Jürgen John (Hrsg.), Quellen zur Geschichte Thüringens von der Reformation bis 1918. Bearb. von Reinhard Jonscher u.a. Bd. 2. Erfurt 1995, S. 58 f., Nr. 8d.
Thomas Müntzer, Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe. Unter Mitarbeit von Paul Kirn hrsg. von Günther Franz (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 33.) Gütersloh 1968, S. 462, Nr. 82.
Karl Kleinschmidt, Thomas Münzer [!]. Die Seele des deutschen Bauernkrieges von 1525. Berlin 1952, Taf. zw. 48–49.
Heinrich Boehmer †/Paul Kirn (Hrsg.): Thomas Müntzers Briefwechsel auf Grund der Handschriften und ältesten Vorlagen. (Aus den Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte [Bd. 34].) Leipzig/Berlin 1931, S. 117, Nr. 82.
[Reinhard] Jordan, Zur Geschichte der Stadt Mühlhausen i. Thür. Heft 4: Zur Schlacht bei Frankenhausen. Mühlhausen i. Thür. [1904], S. 18–26.
Wilhelm Falckenheiner, Philipp der Großmütige im Bauernkriege. Marburg 1887, 125 f., Nr. 25.
Peter Matheson (Hrsg.), The collected works of Thomas Müntzer. Edinburgh 1988, S. 149, Nr. 82. [Übertragung ins Englische.]
Thomas Müntzer, Ecrits théologiques et politiques. Lettres choisies, bearb. v. Joël Lefebvre. Lyon 1982, S. 163, Nr. 82. [Übertragung ins Französische.]