Schaufenster in die Reformationsgeschichte

Das Ausstellungsmodul des Projekts präsentiert in einem „Schaufenster“ ausgewählte Dokumente aus der Reformationszeit. Ergänzend zum Digitalisat finden sich jeweils eine Transkription, eine historische Erläuterung und eine Übertragung ins moderne Deutsch, in einigen Fällen auch ins Englische. So werden die Inhalte auch für den heutigen Leser mit geringeren Vorkenntnissen verständlich.
 

Die Dokumente sind verschiedenen, teils auch mehreren Schlagworten zugeordnet. So findet man z. B.  die Bannandrohungsbulle gegen Martin Luther unter „Leo X.“ oder unter „Martin Luther“ wieder.

Viel Vergnügen beim Stöbern und Erkunden!

Graf Wilhelm von Henneberg besteht auf einer harten Bestrafung des Sichelschmieds Steffan Mann aus Schmalkalden unter Darlegung seiner Rolle während des Bauernaufstandes

Signatur:
StA MR, Best. 3, Nr. 1928
Seitenangabe:
Array
Datierung:
6. November 1525
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Wichtige Orte:
4052708-6, 4038453-6, 4052793-1
Historische Einordnung:
Die Herrschaft Schmalkalden befand sich seit 1360 im gemeinschaftlichen Besitz der Grafen von Henneberg-Schleusingen und der Landgrafschaft Hessen, und wurde als Kondominat („gemeinsame Herrschaft“) mit jeweils eigenen Amtleuten verwaltet. Nach dem Aussterben des letzten Schleusinger Grafen 1583 kam Schmalkalden vollständig an Hessen und blieb eine hessische Exklave bis 1944. Die Grundlage für diese Erbfolge war 1521 im „Kasimirischen Vertrag“ unter Vermittlung des gemeinsamen Nachbarn, Markgraf Kasimir von Brandenburg-Kulmbach vereinbart worden. Vermittlung unter Standesgenossen gehörte zu den fürstlichen Pflichten. Umgekehrt zögerte auch Graf Wilhelm von Henneberg nicht, den Markgrafen bei Ausbruch des Bauernkriegs mit Reiterei zu unterstützen: Er sandte ihm 63 gerüstete Reiter unter der Führung seines Sohnes Wolfgang zu, 20 weitere hatte er für seinen Lehensherrn, den Bischof von Würzburg zu stellen. Damit hatte er sich aber verkalkuliert: Als der Aufstand auch in Schmalkalden losbrach, vermochte er den Bauern keine eigenen militärischen Kräfte mehr entgegenzusetzen. Söldner, die gegen die Bauern kämpfen wollten, waren nicht aufzutun. Nachdem er längere Zeit zwischen dem Bischof von Würzburg und den (beiden) Bauernhaufen laviert hatte, musste sich der Graf nolens volens auf Verhandlungen mit den Bauern einlassen, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf die Niederwerfung des Aufstandes durch Landgraf Philipp hoffen.
Nach der militärischen Niederlage ging man gegen die Anführer des Aufstandes vor, darunter auch gegen Steffan Mann, dessen Name auch Man oder, wie im vorliegenden Fall, Mön geschrieben wird, der aber häufig auch einfach nach seinem Beruf „der Sichelschmied“ genannt wurde – Zeichen dafür, dass sich Familien- und Berufsnamen noch nicht eindeutig verfestigt hatten und die Personen vor allem unter ihren Übernamen bekannt waren. Überhaupt gab es im Schmalkaldener Aufstand auffallend viele Schmiede: den Hammerschmied Hans Dobereiner, den Plattenschmied (Plattner/Rüstungsmacher) Michel Hettner, den Messerschmied Alben und einen Hans Klingenschmied. Die Eisenverarbeitung war ein Folgegewerbe des bei der Stadt umgehenden Erzbergbaus. Die wichtigste Zunft in der Stadt war die der Stahlschmiede. Über die Rolle, die der Sichelschmied während des Aufstandes gespielt hatte, gibt es zwei unterschiedliche Erzählstränge: Am 8. Juni erklärte er selbst, dass er keineswegs die Plattner dazu angetrieben habe, ein Fähnlein aufzurichten und nicht einmal Luthers Lehre anhänge. Mit dieser Darstellung konnte er auch gewisse Sympathien Landgraf Philipps gewinnen, an den er sich hilfesuchend gewandt hatte: Am 21. Oktober trat Philipp in einem Schreiben an Graf Wilhelm für Mann ein, verwies dabei auf sein Alter und bezeichnete ihn als „alten capitanen“, was wohl so viel heißt wie altgedienten Haudegen. Am 24. Oktober fügte er in einem zweiten Schreiben hinzu, Mann sei ehrbaren, stattlichen und ehrlichen Herkommens. Auf diese Schreiben, denen offenbar die an Landgraf Philipp gerichtete Bittschrift Steffan Manns beigelegt war, reagierte Graf Wilhelm von Henneberg mit der vorliegenden Antwort.
Was er darin darlegt, ist der andere Erzählstrang von den Geschehnissen: Am 10. Mai hatte der Bauernhauptmann Hans Sippel in Eisenach ausgesagt, dass der Werrahaufen auf Anstiften des Sichelschmieds von (Bad) Salzungen aus nach Schmalkalden gezogen sei. Am 4. November hatten auch die Amtleute und der Rat von Schmalkalden berichtet, Mann sei ein Beutemeister des Haufens gewesen. Begleitet von einem Knecht mit einem Schlachtschwert über der Schulter habe er Requirierungen vorgenommen. Im vorliegenden Brief ergänzt Graf Wilhelm, dass Mann diese Tätigkeit mit der euphemistischen Selbstbezeichnung „Pfennigmeister“ (Schatzmeister) verbrämt habe und sich vom obersten Hauptmann der Bauern einen Freibrief erbeten hatte, um auf Leib, Hab und Gut der Geistlichen der Schmalkaldener Stiftskirche St. Egidien und St. Erhard zuzugreifen. Hier wird ein enormer Hass auf die Geistlichkeit erkennbar, der sich in Schmalkalden während des Bauernkriegs stärker als anderswo entlud, zu dem die Stiftsgeistlichen durch ihren Lebenswandel allerdings auch stärker als anderswo Anlass gegeben hatten. Weiter kommen Vergehen Manns gegen die Schmalkaldener Juden hinzu, die der während des Aufstands herrschenden Anarchie besonders schutzlos ausgeliefert waren. Mann selbst gab zu, dass er den Juden im Namen des Bauernhaufens die von ihren Schuldnern hinterlegten Pfänder abgepresst hatte. Über sein Verhalten gegenüber einem Juden namens Jakob macht Graf Wilhelm nur Andeutungen: Philipp werde Genaueres von der hessischen Kommission, die er nach Schmalkalden entsandt hatte, erfahren. Dabei macht Wilhelm aber auch deutlich, dass Jakob den beiden Herrschaftsträgern (durch die Judensteuer) verbunden und auch seinen Verpflichtungen gegenüber der Kommune nachgekommen war. Es wäre deshalb die Pflicht der beiden Kondominatsherren gewesen, für seinen Schutz zu sorgen.
Den meisten Nachdruck legt Graf Wilhelm auf einen persönlichen Wortwechsel mit Steffan Mann. Der Graf war unter der Zusage freien Geleits in das Lager der Bauern beim Untertor von Meiningen gefordert worden und dann dazu genötigt worden, eine vorgefertigte Urkunde über die Anerkennung der Zwölf Artikel der Bauern auszufertigen. Obwohl ihm diese Urkunde später bei Eisenach wieder in die Hände fiel und er den damit verbrieften Rechtzustand umgehend wieder zurücknahm, war der damit eingetretene Ehrverlust nicht so einfach aus der Welt zu schaffen: Die Demütigung des Grafen, der seine Herrschaft in der Unterschriftzeile des vorliegenden Briefs wie alle Adligen von Gottes Gnade herleitete, war vor einer großen Öffentlichkeit geschehen. Schon das Umringen und die damit verbundene physische Gewaltandrohung hatte der Graf als Angriff auf seine Ehre empfunden und sah darin nun einen Geleitsbruch. Der Sichelschmied hatte diese Situation der Machtumkehr noch weiter ausgekostet und den Grafen verhöhnt: Was er sich herausnehme, nun noch zu zögern. Es gebe eine unzertrennbare Verbindung von Rom bis nach St. Jakob; so lange sie bestehe, seien alle weltlichen Gewalten machtlos. Der Sinn dieser Worte war schon für die Zeitgenossen nicht eindeutig verständlich: Mit St. Jakob ist wohl Santiago di Compostela und damit das westliche Ende Europas (Finisterre) gemeint. Mann wollte also wohl zum Ausdruck bringen, dass ein Band durch ganz Europa reiche, der Aufstand längst alle Lande erfasst habe und wegen dieser Interdependenzen nicht mehr lokal bekämpft werden könne. So jedenfalls wollte er selbst seine Aussage später verstanden wissen. Mehr als um den Inhalt der Worte, ging es ganz offensichtlich um die Umstände, unter denen sie gefallen waren: Anders als in der Erzählung Manns, war dies nach Aussage des Grafen kein Vieraugen-Gespräch, sondern ein Dialog vor einer großen Öffentlichkeit, und Mann hatte seine Worte mit Gebärden unterlegt und damit auch performativ weithin zu erkennen gegeben, dass hier nicht mit der an sich gebotenen Demut gesprochen wurde. Mit dieser mangelnden Ehrerbietung, ja Erniedrigung hatte er dem Grafen in aller Öffentlichkeit die adlige Ehre abgeschnitten. Deshalb hatte der Graf eine ganz persönliche Rechnung mit ihm zu begleichen und insistierte nun so beharrlich auf eine Strafverfolgung: Mit der öffentlichen Bestrafung oder Hinrichtung Manns wäre seine Ehre ebenso öffentlich wieder hergestellt worden. Manche Hauptleute des Aufstandes, wie Bastian Steinmetz und Paul Gebauer, wurden nach ihrer Ergreifung und Verurteilung tatsächlich auf dem Schmalkaldener Altmarkt hingerichtet. Mann konnte sich dem entziehen, indem er sich rechtzeitig in das mainzische Erfurt absetzte. Damit blieb dem Grafen nur der Erzählstrang über seine Vergehen, ohne ihn bestrafen zu können.
In einem weiteren Schreiben vom 15. November gab auch Landgraf Philipp seine Einwände auf. Doch immerhin hatte er Graf Wilhelm mit seiner Intervention dazu genötigt, zu beteuern, dass er mit einem rechtlichen Verfahren („die straff des rechtten [...] gegen inen furzunemen gedencken“) gegen den Sichelschmied vorgehen und ihn mithilfe von Zeugen überführen wolle, also ein rechtliches Verfahren statt Willkür stattfinden zu lassen. Und überhaupt hatte er den Grafen in die Situation gebracht, sich ihm gegenüber verteidigen zu müssen. Geteilte Herrschaft bedeutete auch, dass kein Teilherr alleine „duchregieren“ konnte. Diesem Umstand verdankt sich die Vielzahl von Schriftstücken, die heute noch über Mann und seine Rolle während des Aufstandes und die Erzählungen darüber erhalten sind: Die Konstellation des Kondominats ließ Raum für unterschiedliche Erzählstränge und dafür, mit ihnen Gehör zu finden und die beiden Kondominatsherren gegeneinander auszuspielen. Den Untertanen eröffnete sie die Möglichkeit, sich zumindest geringe Freiräume zu verschaffen.
Landgraf Philipp wird die öffentliche Erniedrigung Graf Wilhelms vielleicht gar nicht so unrecht gewesen sein, und möglicherweise neigte er der Erzählung des Sichelschmieds sogar absichtlich sein Ohr, um damit einen Nadelstich gegen den Henneberger zu setzen. Denn Konflikpotential zwischen den beiden Kondominatsherren gab es genug. Bereits 1482–1520, also vor dem „Kasimirischen Vertrag“ von 1521 hatte es Auseinandersetzungen gegeben; 1500 war sogar der hessische Amtmann in einem Streit von dem hennebergischen mit einem Sauspieß erstochen worden. Mit dem Vertrag wurden die Probleme nur zum Teil gelöst, und sie verschärften sich abermals dadurch, dass Graf Wilhelm auch in den folgenden Jahren dem alten Glauben treu blieb. Den beginnenden konfessionellen Gegensatz deutet im vorliegenden Schreiben Wilhelms Bemerkung an, auch er wolle für das Evangelium eintreten. Denn hinter diesem Wort stehen hier unterschiedliche Konzepte: Der Graf meinte damit den überkommenen Glauben, während „Evangelium“ von den Bauern und Ende 1525 wohl auch schon von Landgraf Philipp als Chiffre für „Reformation“ verstanden wurde: Noch 1525 setzte der Landgraf einen ersten evangelischen Prädikanten in Schmalkalden ein. In den folgenden Jahren demonstrierte er dann seine Überlegenheit damit, dass er sukzessive die Reformation in der Herrschaft einführte. 1531 gründete sich sogar das Militärbündnis der evangelischen Fürsten ausgerechnet in Schmalkalden. Graf Wilhelm musste zusehen, wie die hennebergischen Herrschaftsrechte Stück um Stück ausgehöhlt und die Herrschaft immer stärker an Hessen gezogen wurde. Mit der Niederwerfung der Bauern war Landgraf Philipp zur dominierenden Figur in Schmalkalden geworden.
Literatur:
Peter Handy/Karl-Heinz Schmöger, Fürsten, Stände, Reformatoren. Schmalkalden und der Schmalkaldische Bund. (Thüringen unter der Lupe.) Gotha 1996.
Otto Merx (Hrsg.), Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland. [Bd. 1]. Abt. 1. (Aus den Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte [Bd. 27].) Leipzig/Berlin 1923, Nr. 693, S. 463 f; Nr. 985, S. 608 f. mit Anm. 1.
Karl-Heinz Schmöger, Der Bauernkrieg im oberen Werratal. Ein Beitrag zur Geschichte des großen deutschen Bauernkrieges. Suhl [circa 1958], bes. S. 42–44 [tendenziös].
Walter Stück, Graf Wilhelm IV. von Henneberg (1485–1559) (Schriften des Hennebergischen Geschichtsvereins, Bd. 11.) Schleusingen 1919, S. 16–26, 61–63.
Alfred Wendehorst (Bearb.), Die Stifte in Schmalkalden und Römhild. (Germania Sacra, N.F. Bd. 36: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz/Das Bistum Würzburg, Bd. 5.) Berlin/New York 1996.
Eilhard Zickgraf, Die Stadt Schmalkalden im Bauernkrieg. In: Festschrift zur 400 Jahrfeier der Schmalkaldischen Artikel 1537–1937. (Zeitschrift des Vereins für Hennebergische Geschichte und Landeskunde zu Schmalkalden, Bd. 24.) Schmalkalden 1937, S. 37–44 [ereignisgeschichtlicher Abriss, in den Deutungen veraltet und mit antisemitischer Tendenz].