Schaufenster in die Reformationsgeschichte

Das Ausstellungsmodul des Projekts präsentiert in einem „Schaufenster“ ausgewählte Dokumente aus der Reformationszeit. Ergänzend zum Digitalisat finden sich jeweils eine Transkription, eine historische Erläuterung und eine Übertragung ins moderne Deutsch, in einigen Fällen auch ins Englische. So werden die Inhalte auch für den heutigen Leser mit geringeren Vorkenntnissen verständlich.
 

Die Dokumente sind verschiedenen, teils auch mehreren Schlagworten zugeordnet. So findet man z. B.  die Bannandrohungsbulle gegen Martin Luther unter „Leo X.“ oder unter „Martin Luther“ wieder.

Viel Vergnügen beim Stöbern und Erkunden!

Versorgung der in das Hospital Merxhausen übersiedelten Süstern des Schwesternhauses Immenhausen

Signatur:
StA MR, Urk. 38, Nr. 41
Datierung:
8. Oktober 1537
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Wichtige Orte:
4029869-3, 1072860864, 4109212-0, 1052254357
Historische Einordnung:
Zu den geistlichen Einrichtungen, die mit der Reformation in Hessen vollständig verschwunden sind, gehört das Schwesternhaus Mergenhof (Marienhof) in Immenhausen. Schon 1719 wusste der Ortspfarrer nur noch ungefähr von einem mittlerweile ruinierten, ehemaligen „Frauenkloster“ zu berichten. Die Konvente der Brüder (Fraterherren) und Schwestern vom Gemeinsamen Leben (letztere in Hessen zumeist einfach als „Sustern“ bezeichnet) verbreiteten sich seit dem Ende des 14. Jahrhunderts von den Niederlanden aus. Sie führten Frauen oder Männer zu einem religiösen Gemeinschaftsleben zusammen, das von Gebet und Arbeit bestimmt war, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestritten. Von den Beginen und Begarden unterschied sie die persönliche Armut, von den Ordensleuten ihre Ausrichtung an der ebenfalls in den Niederlanden entstandenen „Devotio moderna“ (einer von der persönlichen Beziehung zu Gott geprägten „neuen“ Frömmigkeit) und der Verzicht auf Gelübde und Ordensregeln, wenngleich die Konvente im 15. Jahrhundert zunehmend einer Ordensregel unterworfen wurden. Das Immenhäuser Schwesternhaus wurde 1462 wenige Jahre nach dem Bruderhaus Weißenhof in Kassel gestiftet. Von ihrem Gründer, einem aus dem unweit gelegenen Holzhausen stammenden Kölner Stiftsherrn, der selbst einst Fraterherr war, erhielten die Schwestern ein Haus an der „Hohen Straße“ bei der Stadtmauer, dazu eine Kapelle mit eigenem Seelsorger und Friedhof; die Unterordnung unter die Stadtpfarrei wurde nur noch durch einen mehr symbolischen Rekognitionszins zum Ausdruck gebracht. Auch hier drängte der zuständige Mainzer Diözesanbischof schon bald auf die Annahme einer Ordensregel. 1465 beauftragte er den Prior des Augustinerchorherrenstifts Böddeken, einem Zentrum der Windesheimer Reformkongregation, die ebenfalls aus der Devotio moderna hervorgegangen war, damit, in den Schwesternhäusern Volkmarsen, Naumburg (bei Kassel) und Immenhausen die Augustinerinnenregel nach dem Vorbild des Kölner Schelenkonvents (Groß Nazareth) einzuführen. Die Kölner Schwestern hatten die Augustinerregel bereits 1426 angenommen. 1489 folgte die Unterstellung Immenhausens unter das Augustiner-Chorherrenstift Merxhausen, das im selben Jahr auf Betreiben Landgraf Wilhelms II. reformiert wurde – eine erste Demonstration landesherrlicher Eingriffsrechte in die Klöster – und ebenfalls mit Windesheimer Chorherren aus Böddeken besetzt wurde. Über die Person des Beichtvaters bestanden zudem Bindungen an das Fraterherrenhaus Lüchtenhof in Hildesheim. Der anwachsende Besitz der Gemeinschaft schuf auch Konflikte mit der Stadt, die 1518 den Grunderwerb des Schwesternhauses in der Stadt verbieten wollte. Ein Schlaglicht auf den Zustand kurz vor der Auflösung wirft die Beobachtung des Klosterbruders Göbel aus Böddeken, dass hier in der Fastenzeit 1525 von allen Fleischverzehrt worden sei. Die erste Welle der Klosteraufhebungen im Jahr 1527 ging an dem Schwesternhaus noch vorüber, während die übrigen Ordensleute entweder abgefertigt oder in zwei „Sammelklöstern“ in Marburg und Germerode zusammengezogen wurden (im 18. Jahrhundert sollte man von „Absterbeklöstern“ sprechen). Darin mochte sich Hochachtung vor der Lebensweise der Schwestern abzeichnen oder auch nur politisches Kalkül. Auf dem Augsburger Reichstag verteidigte sich der Landgraf jedenfalls gegen Vorhaltungen wegen seines Vorgehens gegen die Klöster unter anderem mit dem Hinweis auf Immenhausen, das „noch voller Ordenspersonen“ sei, die man weder gegen ihren Willen vertrieben, noch ihnen ihre Einkünfte genommen habe. Erst 1533 wurden 17 Schwestern mit Geldbeträgen zwischen 10 und 60 Gulden bzw. Naturaleinkünften abgefunden; teilweise verheirateten sie sich. Die übrigen Schwestern übersiedelten nach Merxhausen, um hier ihren Lebensabend zu verbringen. Das Stift Merxhausen war mittlerweile seinerseits aufgehoben und in ein Armenspital umgewandelt worden, zusammen mit Haina, Hofheim und Gronau eines der vier nachmaligen Hohen Hospitäler Hessens. Dass der Schwesterngemeinschaft 1537 noch immer 12 Personen angehörten, mag darauf hindeuten, dass sie dem Heiratsmarkt aus Alters- oder Finanzgründen nicht mehr zur Verfügung standen, spricht aber auch dafür, dass das religiöse Gemeinschaftsleben durchaus einem selbstgewählten Lebensentwurf der Frauen entsprach. Der Landgraf verpflichtete sich mit der vorliegenden Urkunde, die Frauen nun nicht weiter zu behelligen und sie mit Kleidung und Kost angemessen zu versorgen, dafür standen 1.800 Gulden aus dem Immenhäuser Vermögen zur Verfügung. Die Ausstellung der Urkunde durch Heinz von Lüder zeigt bereits die neuen Strukturen auf, in die die Klosterverwaltung gestellt war: Dem späteren Obervorsteher der vier Hohen Hospitäler Heinz von Lüder war 1531 die Aufsicht über die Klöster Haina und Merxhausen übertragen worden, und seither war er wesentlich an der Ausgestaltung der Hospitäler beteiligt. Er hatte auch der Kommission angehört, die die Abfindung der Immenhäuser Schwestern geregelt hatte. Das Vermögen des Schwesternhauses ging in das Hospitalvermögen ein, wurde aber auch für die Hof- und Landesverwaltung verwendet; 50 Gulden dienten 1527–1540 vorübergehend zur Dotierung der Universität Marburg. Die Schwestern gesellten sich zu den neuen Hospitalbewohnerinnen. Ergänzen konnte sich der Konvent nicht mehr; mit dem Tod der letzten Frau hörte die Immenhäuser Schwesterngemeinschaft auf zu existieren. An die Stelle einer spezifischen Form spätmittelalterlicher Frömmigkeit und Lebensgestaltung war das zentral organisierte, karitative Wohltätigkeitswesen des frühmodernen Territoriums getreten.
Literatur:
Wilhelm Dersch, Hessisches Klosterbuch. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, Bd. 12.) 2. erg. Aufl. Marburg 1940, S. 90.
Eckhart G. Franz, Die hessischen Klöster und ihre Konvente in der Reformation. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 19, 1969, S. 147–233, hier 157, 199.
Günther Franz (Bearb.), Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, Bd. 2: 1525–1547. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, Bd. 11,2.) Marburg 1954, Nr. 176, S. 113–115. [Memorialzettel der Landgrafen zum Augsburger Reichstag].
Thomas Fuchs, Geschichtsbewußtsein und Geschichtsschreibung zwischen Reformation und Aufklärung. Städtechroniken, Kirchenbücher und historische Befragungen in Hessen 1500 bis 1800. (Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte, Bd. 21.) Marburg 2006, S. 86. [Aufzeichnung von 1719.]
Walter Heinemeyer, Domus sancti Johannis Baptistae in Merkeshusen (Merxhausen). In: Wilhelm Kohl u.a. (Hrsg.), Monasticon Windeshemense. Teil 2: Deutsches Sprachgebiet. (Archives et Bibliothèques de Belgique, N° spécial 16.) Brüssel 1977, S. 284–295, bes. 293 f.
Carl Knetsch, Heinz von Lüder. In: Hessenkunst 16, 1922, S. 52-58 und Ders., Neues von Heinz von Lüder, in: ebd. 20, 1926, S. 43–46.
Gerhard Rehm, Die Schwestern vom gemeinsamen Leben im nordwestlichen Deutschland. Untersuchungen zur Geschichte der Devotio moderna und des weiblichen Religiosentums. (Berliner historische Studien, Bd. 11 – Ordensstudien, Bd. 5.) Berlin 1985.
Heinrich Rüthing (Hrsg.), Die Chronik Bruder Göbels. Aufzeichnungen eines Laienbruders aus dem Kloster Böddeken 1502 bis 1543. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen Bd. 44; Quellen und Forschungen zur Kirchen- und Religionsgeschichte, Bd. 7.) 2. Aufl. Bielefeld 2006, S. 231. [Besuch während der Fastenzeit in Immenhausen.]
Johannes Schilling, Klöster und Mönche in der hessischen Reformation. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 67.) Gütersloh 1997.
Waltraud Regina Schmidt, Vom Augustinerinnenkloster zum Hohen Hospital Merxhausen. Petersberg 2013, S. 144, 163 f., 188–190.
Willi Vesper, Der Mergenhof zu Immenhausen. In: Heimatjahrbuch für den Kreis Hofgeismar 1960, S. 60–62.
W[ilhelm] Wolff, Das Schwesternhaus zu Immenhausen. In: Pastoralblatt für den Konsistorialbezirk Cassel 22, 1913, S. 62–64, 69 f.