Schaufenster in die Reformationsgeschichte

Das Ausstellungsmodul des Projekts präsentiert in einem „Schaufenster“ ausgewählte Dokumente aus der Reformationszeit. Ergänzend zum Digitalisat finden sich jeweils eine Transkription, eine historische Erläuterung und eine Übertragung ins moderne Deutsch, in einigen Fällen auch ins Englische. So werden die Inhalte auch für den heutigen Leser mit geringeren Vorkenntnissen verständlich.
 

Die Dokumente sind verschiedenen, teils auch mehreren Schlagworten zugeordnet. So findet man z. B.  die Bannandrohungsbulle gegen Martin Luther unter „Leo X.“ oder unter „Martin Luther“ wieder.

Viel Vergnügen beim Stöbern und Erkunden!

Der Fußfall des Landgrafen Philipp von Hessen in Halle a.d. Saale

Signatur:
StA MR, Bibliothek, Slg. Frühdrucke, in Kasten 5
Seitenangabe:
Array
Datierung:
1547
Überlieferungsform:
Druck
Wichtige Orte:
4003614-5, 4023025-9
Verweis auf andere Quellen:
Digitalisat Bayerische Staatsbibliothek München
Verweis auf andere Quellen (Link):
Historische Einordnung:
Nach der Beilegung der außenpolitischen Konflikte mit Frankreich und dem Osmanischen Reich begann Kaiser Karl V. 1544 damit, den Kampf gegen die protestantischen Reichsfürsten politisch und militärisch vorzubereiten, woraufhin die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes, unter ihnen Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, Landgraf Philipp von Hessen, die Herzöge Philipp von Braunschweig-Grubenhagen und Ernst von Braunschweig-Lüneburg und elf Reichsstädte, im Juni 1546 selbst den Krieg eröffneten: Aus dem Schmalkaldischen Bund war der Schmalkaldische Krieg geworden.
Der Krieg, zunächst in Süddeutschland, dann in Kursachsen geführt, verlief für die Bundesmitglieder unglücklich. Am 24. April 1547 fügte ihnen der kaiserliche Heerführer Herzog von Alba eine vernichtende Niederlage bei Mühlberg an der Elbe zu, bei der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen in Gefangenschaft geriet. Bei der Kapitulation der einzelnen Bundesmitglieder kam ein sehr altes Ritual zur Anwendung, die fußfällige Abbitte des Besiegten. Die „Deditio“ geht ins Frühmittelalter zurück und folgte festgelegten sozialen Regeln: Der Fußfällige unterwarf sich dem Sieger vollständig, zwang ihn damit aber auch, „Clementia“, Milde, walten zu lassen, ihn wiederaufzurichten und seine Ehre damit wiederherzustellen. Auf diese Weise wurden einerseits die Machtverhältnisse unzweideutig und sichtbar zum Ausdruck gebracht, anderseits aber dem Unterlegenen ein vollständiger Gesichtsverlust erspart, die Widersacher ausgesöhnt und die gestörte Friedensordnung wiederhergestellt. Infolge der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes kam es zu einer regelrechten „Kaskade von Kniefällen vor dem Kaiser“ (Stollberg-Rilinger), die aber im Einzelnen unterschiedlich abliefen: Am 13. Juni leistete Herzog Ernst von Braunschweig Abbitte vor dem Kaiser, der ihm daraufhin die Hand gab und ihn damit in traditioneller Weise in Gnaden wieder annahm. Landgraf Philipp wurde in das kaiserliche Hoflager in der erzbischöflich-mainzischen Residenzstadt Halle einbestellt, um dort ebenfalls Abbitte zu leisten. Kurfürst Joachim von Brandenburg und Herzog Moritz von Sachsen traten als Vermittler auf, man einigte sich nach zähem Ringen, dass sich Philipp auf Gnade „und Ungnade“ des Kaisers ergeben sollte, doch bis zuletzt blieb unklar, wie weit die kaiserliche Gnade gehen würde. Darüber ließen die Unterhändler Philipp wohl im Unklaren. Über das anschließende Geschehen in Halle ist man durch verschiedene Berichte relativ gut informiert: Im „Langen Saal“ des noch kaum fertiggestellten erzbischöflichen Stadtpalasts („Neuer Bau“) war ein Thron mit goldenem Baldachin für den Kaiser errichtet worden, der Saal war mit hochrangigen Reichsfürsten und ihren Vertretern gefüllt, draußen drängte sich das Volk. Joachim von Brandenburg und Moritz von Sachsen geleiteten den Landgrafen, der von seinem Kanzler Dr. Tilman Günderode begleitet wurde. Philipp war mit einem schwarzen Rock bekleidet, unter dem er eine rote Feldbinde trug. Der Landgraf und sein Kanzler ließen sich vor dem Kaiser auf die Knie herab, Beobachter berichten, dass sie dabei redeten und Philipp lächelte. Günderode trug das Schuldeingeständnis des Landgrafen vor und fügte die Bitte an, die am 20. Juli 1546 gegen Philipp verhängte Reichsacht aufzuheben und ihn bei Land und Leuten zu belassen. Daraufhin trug der Reichsvizekanzler Georg Seld die Antwort des Kaisers vor, die das Schuldeingeständnis wiederholte und erklärte, den Landgrafen aus der Acht zu lösen, ihm die lebenslange Haft zu ersparen und ihn bei seiner Herrschaft zu belassen; gleichzeitig legte er Philipp auf die in der Kapitulationsurkunde getroffenen Vereinbarungen fest. Man erwartete nun die Reaktion des Kaisers, die das Unterwerfungsritual zu Ende bringen und die Situation auflösen sollte. – Doch diese Reaktion blieb aus. Der Kaiser richtete nicht das Wort an den Landgrafen und machte keine Anstalten, ihm die Hand zu reichen. Schließlich stand Philipp unaufgefordert wieder auf, abermals wollen Beobachter dabei ein Lächeln auf seinem Gesicht bemerkt haben, diesmal ein höhnisches. Anschließend folgte der Landgraf dem Herzog von Alba zum Essen, danach ließ dieser ihn in die erzbischöfliche Moritzburg führen, in der er Quartier bezogen hatte. Dort wurde Philipp festgesetzt, nachdem die deutsche Wachmannschaft wohlweislich gegen spanische Soldaten ausgetauscht worden war, die nicht in die Verlegenheit gerieten, Rücksichten auf den Reichsfürsten zu nehmen oder ihm Gefälligkeiten zu erweisen. Der Landgraf blieb für volle fünf Jahre in kaiserlichem Gewahrsam, zunächst bei seinem reisenden Hof, dann in den Niederlanden. Erst 1552 wurde Philipp freigelassen, als Herzog Moritz von Sachsen, der ungenaue oder selbst getäuschte Vermittler, den Kaiser dazu zwang. Mittlerweile hatte sich das Blatt abermals gewendet, nachdem der Kaiser durch den von Moritz angeführten Fürstenaufstand militärisch in die Enge getrieben worden war. Nun erfolgte der politische Ausgleich mit den Schmalkaldenern im Passauer Vertrag von 1552 und der religionspolitische Ausgleich mit den Protestanten im Augsburger Religionsfrieden von 1555.
Die Flugschrift über den Kniefall Landgraf Philipps vergrößerte die ohnedies schon große Öffentlichkeit des Augenblicks und grub die Unterwerfung des Landgrafen am 19. Juni 1547 fest in das kollektive Gedächtnis der Mit- und Nachwelt ein. Ihr Autor Hans Baumann stammte aus Rothenburg an der Tauber, hatte in Erfurt studiert, das Studium aber aus Armut abgebrochen und das Buchdruckergewerbe erlernt. Wohl beim Einzug Kaiser Karls V. in Rothenburg im Dezember 1546 war er als Leibdiener in das Gefolge des Herzogs von Alba aufgenommen worden. In dieser Funktion wurde er zum Augenzeugen der Schlacht bei Mühlberg und der anschließenden Geschehnisse. Er verfasste einen Bericht über die Schlacht für den Rat seiner Heimatstadt. Mit einem Lied über die Gefangennahme Johann Friedrichs und Flugschriftenliteratur, „Neuen Zeitungen“ und Kundmachungen aller Art, die er wohl auf einer mobilen Presse druckte, wurde er auch publizistisch tätig. Die Aufmerksamkeit, die Baumann damit auf sich zog, hat sich für ihn gelohnt: Von Augsburg aus, wo auch die Flugschrift gedruckt ist, berief ihn der Salzburger Bistumsverweser Herzog Ernst von Bayern 1548 nach Salzburg. Hier baute er eine eigene Druckerei auf, die erste Salzburger Druckerei überhaupt. 1561 wurde er schließlich Hofbuchdrucker in Würzburg.
Wie seine anderen Texte zum Schmalkaldischen Krieg ist auch Baumanns Flugschrift über den Fußfall des Landgrafen aus der Perspektive der Kaiserlichen verfasst. Die von ihm abgedruckten Texte geben die Reden wieder, die zwischen Tilman Günderode und Georg Seld in Halle gewechselt worden waren. Sie betonen deshalb sehr ausdrücklich die große Schuld des Landgrafen: Er habe den Kaiser zutiefst beleidigt und seine höchste Ungnade heraufbeschworen, ergebe sich ihm auf Gnade und Ungnade und hoffe auf Barmherzigkeit, er bitte, ihn wieder in den vorigen Stand einzusetzen, ihm Land und Leute, Räte und Hof zu belassen, bzw. umgekehrt: Der Landgraf habe die höchste Strafe, die Todesstrafe und dauerhafte Gefangenschaft, samt dem Verlust aller Güter verdient.
An dieser Aufzählung lässt sich ermessen, wie ernst die Lage war: Das Ergeben auf Gnade und Ungnade bedeutete eine vollständige Unterwerfung unter den Kaiser. Als Lehensmann, der sich gegen seinen obersten Lehensherrn, den Kaiser, Oberhaupt des Reichs, eingesetzt „von Gottes Gnaden“, erhoben hatte, hatte Landgraf Philipp sämtliche Reichslehen, Land und Leute, seine Fürstenwürde (die sich in der Unterhaltung eines Hofs zur fürstlichen Repräsentation und Räten als politischen Beratern spiegelte), und sein Leben verwirkt. Das waren in diesem Fall nicht nur Floskeln: Johann Friedrich von Sachsen, dessen Verrat als Kurfürst noch schwerer wog, wurde am 10. Mai zum Tod verurteilt, dann begnadigt und gleichfalls bis 1552 gefangen gesetzt, verlor aber die Kurwürde und einen Teil seiner Länder an den innerdynastischen Konkurrenten Moritz von Sachsen (albertinische Linie). Die Niederlage bei Mühlberg bedeutete deshalb eine einschneidende Zäsur in der sächsischen und thüringischen Geschichte, den Übergang der Kurwürde von den Ernestinern an die Albertiner, und übrigens auch die Gründung der Universität Jena als Ersatz für das verlorene Wittenberg. Auch für Hessen stand viel auf dem Spiel. Die Landgrafschaft war noch ein vergleichsweise lose gefügtes Land, das erst unter Landgraf Philipp zu einem eigentlichen Territorium ausgebaut worden war und gefährliche Nachbarn besaß. Es war wohl den hochgestellten Fürsprechern zu verdanken, dass die territoriale Integrität Hessens damals nicht angetastet wurde. Dennoch blieb die Gefangenschaft nicht ohne Folgen. Auch wenn der Landgraf 1552 zurückkehren und seine Ausbaupolitik im Inneren fortsetzen konnte, sollte er die außenpolitische Machtstellung, die er zuvor besessen hatte, nicht mehr zurückerlangen.
Für die Geschichte des Fußfall-Rituals stellen die Ereignisse von 1546/47 einen „Höhe- und Wendepunkt“ (Stollberg-Rilinger) dar. Infolge von Luthers theologischer Unterscheidung zwischen innerer Freiheit und äußerer (Un)Freiheit des Christenmenschen war die Einheit von Vollzug und Handlung des Rituals verloren gegangen, ablesbar an Philipps Lachen, ja Hohnlachen, mit dem er den Kniefall zu einer bedeutungslosen, äußeren Zeremonie entwertete, während Kaiser Karl gleichzeitig den alten Zusammenhang von „Deditio“ und „Clementia“ auflöste. An Baumanns Flugschrift lässt sich diese Entwertung ebenfalls ablesen, die, anders als der Titel erwarten lässt („Wie und in welcher gestalt [...]“), nicht das Ritual des Fuß- oder Kniefalls beschreibt, sondern sich vielmehr, dessen Kenntnis stillschweigend voraussetzend, auf die Verbreitung der dabei vorgetragenen Dialoge beschränkt. Das rechtsverbindliche Wort und seine schriftliche Fixierung wurden wichtiger als die sichtbare Symbolhandlung. Auch daran zeigt sich eine Transformation vom Mittelalter zur Neuzeit.
Literatur:
Gerd Althoff, Das Privileg der ‚Deditio‘. Formen gütlicher Konfliktbeendigung in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft. In: Otto Gerhard Oexle/Werner Paravicini (Hrsg.), Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 133.) Göttingen 1997, S. 27–52.
Josef Benzing, Baumann, Hans, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 1. Berlin 1953, S. 652 f. < online: www.deutsche-biographie.de/ppn118868756.html >
Irmgard Bezzel (Red.), Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts. VD 16. I. Abt., Bd. 2. Stuttgart 1984, S. 135, Nr. B 869 < online: gateway-bayern.de/VD16+B+869 >.
Heinrich Endres, Der fränkische Wanderdrucker Hans Baumann aus Rothenburg ob der Tauber ([1510]–1570). Sein Leben und sein Werk. In: Archiv des Historischen Vereins von Mainfranken 71, 1937/38, S. 72–91.
Hessen und Thüringen – Von den Anfängen bis zur Reformation. Eine Ausstellung des Landes Hessen. Wiesbaden 1992, S. 317 f., Nr. 573 d (Fritz Wolff).
Gerhard Müller, Karl V. und Philipp der Großmütige. In: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 12, 1961, S. 1–34.
Erwin Preuschen, Ein gleichzeitiger Bericht über Landgraf Philipps Fußfall und Verhaftung. In: Julius Reinhard Dieterich/Bernhard Müller (Hrsg.): Philipp der Großmütige. Beiträge zur Geschichte seines Lebens und seiner Zeit. Marburg 1904, S. 144–154.
Christoph Reske, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing. (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, Bd. 51.) Wiesbaden 2007, S. 810 f., 1024 f.
Michael Scholz, Halle. In: Werner Paravicini (Hrsg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, Teilbd. 2: Residenzen, bearb. von Jan Hirschbiegel und Jörg Wettlaufer. (Residenzenforschung, Bd. 15.I.1.2.) Ostfildern 2003, S. 246–248.
Barbara Stollberg-Rilinger, Knien vor Gott – Knien vor dem Kaiser. Zum Ritualwandel im Konfessionskonflikt. In: Gerd Althoff unter Mitarbeit von Christiane Witthöft (Hrsg.), Zeichen – Rituale – Werte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Bd. 3.) Münster 2004, S. 501–533. [Kurzfassung in: Andrea von Hülsen-Esch (Hrsg.), Inszenierung und Ritual in Mittelalter und Renaissance. (Studia humaniora, Bd. 40.) Düsseldorf 2005, S. 263–292.]
Bemerkung:
Druckort Augsburg ist erschlossen.