Schaufenster in die Reformationsgeschichte

Das Ausstellungsmodul des Projekts präsentiert in einem „Schaufenster“ ausgewählte Dokumente aus der Reformationszeit. Ergänzend zum Digitalisat finden sich jeweils eine Transkription, eine historische Erläuterung und eine Übertragung ins moderne Deutsch, in einigen Fällen auch ins Englische. So werden die Inhalte auch für den heutigen Leser mit geringeren Vorkenntnissen verständlich.
 

Die Dokumente sind verschiedenen, teils auch mehreren Schlagworten zugeordnet. So findet man z. B.  die Bannandrohungsbulle gegen Martin Luther unter „Leo X.“ oder unter „Martin Luther“ wieder.

Viel Vergnügen beim Stöbern und Erkunden!

Johannes Calvin sendet Melanchthon seine Schriften gegen die Nikodemiten zur Stellungnahme, beklagt den Streit unter den Protestanten und berichtet von den Plänen des französischen Königs Franz I. zur Vorbereitung des Trienter Konzils.

Signatur:
ThHStAW, EGA, Reg. N 678
Seitenangabe:
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Datierung:
21.1.1545
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Wichtige Orte:
4020137-5, 4270450-9, 4068038-1, 4042742-0
Verweis auf andere Quellen:
zeitgenössische Übersetzung des vorliegenden Schreibens ins Deutsche: vorliegende Akte, Bl. 3r-7r.
Edition der Antwort Melanchthons auf den vorliegenden Brief (17. April 1545): Melanchthons Briefwechsel, Texte, Nr. 3885, S. 264f.
Edition des Briefs Calvins an Luther vom 21. Januar 1545, der dem vorliegenden Brief beigefügt war: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Briefwechsel. Bd. 11. Weimar 1948, Nr. 4072, S. 26-29; Bd. 13, S. 337; Übersetzung: Calvin-Studienausgabe, Bd. 8, S. 100f.
Historische Einordnung:
Johannes Calvin (1509-1564), geboren im französischen Noyen (Picardie), hatte nach seinem Grundstudium in Frankreich Rechtswissenschaften studiert. Unter dem Einfluss des Humanismus und der Schriften vor allem von Martin Luther wandte er sich der Reformation zu. Da die Protestanten in Frankreich unter König Franz I. verfolgt wurden, ging er ins Exil. Sein Hauptwirkungsort war von 1536 bis 1538 und dann wieder von 1541 bis zu seinem Lebensende 1564 Genf. Neben dem Zürcher Reformator Huldrych Zwingli prägte er die reformierten Kirchen – von ihren Gegnern als „Calvinisten“ bezeichnet – maßgeblich. In der Abendmahlslehre stand Calvin zwischen den Auffassungen Luthers (reale Gegenwart Christi) und Zwinglis (Abendmahl als Gedächtnismahl). Eine weitere Besonderheit der Reformation Calvin’scher Prägung war etwa die konsequente Durchführung der Kirchenzucht, einer Aufsicht über den Lebenswandel der Gläubigen.
In den Jahren 1538 bis 1541 nahm er als Pfarrer der französischen Flüchtlingsgemeinde in Straßburg an den Religionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg teil und kam dabei mit Wittenberger Reformatoren wie Philipp Melanchthon in Kontakt. Martin Luther hingegen begegnete er nie persönlich.

Hauptanlass für Calvins vorliegenden Brief an Melanchthon aus dem Jahr 1545 war die Haltung der „Nikodemiten“. Viele protestantisch Gesinnte in Frankreich hielten es für vereinbar mit ihrem Glauben, aus Sorge um ihre Sicherheit – auf Grund der Verfolgung unter König Franz I. – äußerlich die altgläubigen Zeremonien einzuhalten. Der Pharisäer Nikodemus, der es nur heimlich in der Nacht wagte, zu Jesus zu kommen (Johannes 3), wurde zum Namensgeber dieses Standpunkts. Nachdem Calvin diese Position in zwei Schriften scharf kritisiert hatte, ersuchten die „Nikodemiten“ Calvin um Gutachten weiterer Reformatoren, von denen sie sich größere Milde erhofften. Diesen Wunsch erfüllte er ihnen, indem er sich im vorliegenden Brief an Melanchthon wandte und ihn um eine Stellungnahme bat. Dieselbe Anfrage richtete Calvin in einem beiliegenden Brief auch an Luther. Darin betonte er, dass der Glaube nicht im Herzen verborgen sein kann, sondern ein öffentliches Bekenntnis verlangt. Auf Grund von Luthers leichter Reizbarkeit und dessen Unwillen gegenüber den Schweizer Reformatoren scheute Calvin sich, den Brief direkt an Luther zu übermitteln. So legte er den Brief an Luther seinem Schreiben an Melanchthon bei und stellte es diesem frei, über die weitere Vorgehensweise zu entscheiden. Melanchthon wagte es allerdings nicht, Luther den Brief zu übergeben. Er selbst äußerte sich jedoch zustimmend gegenüber Calvin in seiner Haltung gegenüber den „Nikodemiten“.
Calvin beklagt im vorliegenden Brief außerdem die Streitigkeiten der Protestanten untereinander. Luther und der Nürnberger Reformator Andreas Osiander d. Ä. hatten in Schriften die Lehre Zwinglis und der Zürcher vehement attackiert, was teilweise mit persönlichen Angriffen verbunden war. Calvin strebte deshalb nach einer Vermittlung und Besänftigung der Konflikte.
Am Ende des Briefs geht es schließlich um die Konzilspläne der Altgläubigen. Papst Pius III. hatte für 1545 ein Konzil nach Trient einberufen. Der französische König Franz I. hatte zunächst – nach einem Plan von Kaiser Karl V. – beabsichtigt, dass reformatorische Theologen in Einzelverhandlungen von ihrer Missbilligung des Konzils abgebracht werden sollten. Dieser Plan wurde dann allerdings verworfen, da sich die französischen Geistlichen den in Religionsgesprächen erfahrenen deutschen Reformatoren nicht ebenbürtig fühlten. Calvin war erleichtert darüber, dass das anfangs gehegte Vorhaben nicht in die Tat umgesetzt wurde.
Literatur:
August Lang, Johannes Calvin. Ein Lebensbild zu seinem 400. Geburtstag am 10. Juli 1909. Leipzig 1909, S. 66-68.
Reiner Rohloff, Johannes Calvin. Leben, Werk, Wirkung. Göttingen u. a. 2011.
Herman J. Selderhuis (Hrsg.), Calvin Handbuch. Tübingen 2008, S. 57-63.
Johannes Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation. 7. Aufl. Tübingen 2012, S. 104-107.

Übersetzungen:
Calvin-Studienausgabe. Hrsg. v. Eberhard Busch, Matthias Freudenberg, Alasdair Heron, Christian Link, Peter Opitz, Ernst Saxer, Hans Scholl. Bd. 8: Ökumenische Korrespondenz. Eine Auswahl aus Calvins Briefen. Neukirchen-Vluyn 2011, S. 101-103 (Teilübersetzung).
Rudolf Schwarz, Johannes Calvins Lebenswerk in seinen Briefen. Eine Auswahl von Briefen Calvins in deutscher Übersetzung. Bd. 1: Die Briefe bis zum Jahre 1553. Tübingen 1909, Nr. 123, S. 203-205 (Teilübersetzung).
Nachweis früherer Editionen:
Ioannis Calvini opera quae supersunt omnia. Ediderunt Guilielmus Baum, Eduardus Cunitz, Eduardus Reuss. Vol. 12. (Corpus Reformatorum, Vol. 40.) Brunsvigae 1874, Nr. 606, Sp. 9-12.
Manfred Kobuch/Ernst Müller (Red.), Die Reformation in Dokumenten. Aus den Staatsarchiven Dresden und Weimar und aus dem Historischen Staatsarchiv Oranienbaum. Hrsg. v. Hans Eberhardt u. Horst Schlechte. Weimar 1967, Nr. 34, S. 78f. (Teiledition).
Melanchthons Briefwechsel. Bd. T 14: Texte 3780-4109 (1545). Bearb. v. Matthias Dall’Asta, Heidi Hein u. Christine Mundhenk. Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, Nr. 3803, S. 123-127.
Melanchthons Briefwechsel. Bd. 4: Regesten 3421-4529 (1544-1546). Bearb. v. Heinz Scheible unter Mitwirk. v. Walter Thüringer. Stuttgart-Bad Cannstatt 1983, Nr. 3803, S. 180f. (Regest, mit Querverweisen auf andere Briefe und Schriften).
Philippi Melanchthonis epistolae, iudicia, consilia, testimonia aliorumque ad eum epistolae quae in Corpore Reformatorum desiderantur. Undique ex manuscriptis et libris editis collegit et secundum seriem annorum dierumque disposuit Henricus Ernestus Bindseil. Halis Saxonum 1874, Nr. 279, S. 214-218.
Bemerkung:
Ausstellungsort erschlossen;
Autograph Calvins, Siegelspur