Schaufenster in die Reformationsgeschichte

Das Ausstellungsmodul des Projekts präsentiert in einem „Schaufenster“ ausgewählte Dokumente aus der Reformationszeit. Ergänzend zum Digitalisat finden sich jeweils eine Transkription, eine historische Erläuterung und eine Übertragung ins moderne Deutsch, in einigen Fällen auch ins Englische. So werden die Inhalte auch für den heutigen Leser mit geringeren Vorkenntnissen verständlich.
 

Die Dokumente sind verschiedenen, teils auch mehreren Schlagworten zugeordnet. So findet man z. B.  die Bannandrohungsbulle gegen Martin Luther unter „Leo X.“ oder unter „Martin Luther“ wieder.

Viel Vergnügen beim Stöbern und Erkunden!

Beginn eines Redemanuskripts Martin Luthers in deutscher Sprache vor dem zweiten Verhör auf dem Reichstag in Worms

Signatur:
ThHStAW, EGA, Reg. E 81
Seitenangabe:
Array
Datierung:
[17./18. April 1521]
Wichtige Orte:
4066942-7
Historische Einordnung:
Die „causa Lutheri“ – die Luthersache - war keineswegs der einzige Tagesordnungspunkt des Reichstages, der am 27. Januar 1521 in Worms durch Kaiser Karl V. feierlich eröffnet wurde. Herstellung von Recht und Frieden, Ordnung und Verfassung, Regelung der Regierung für Zeiten kaiserlicher Abwesenheit, Kaiserkrönung und Romzughilfe waren wichtige Punkte für die weitere politische Entwicklung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Aber alle diese wichtigen politischen Verhandlungen und Entscheidungen haben sich nicht so in das historische Gedächtnis eingeprägt, wie die Verhandlungen gegen Martin Luther.
Am 16. April 1521 traf der Professor aus Wittenberg, den der Papst Anfang des Jahres aus der Glaubensgemeinschaft der Christen ausgeschlossen hatte, in Worms ein und wurde von den Menschen dort jubelnd begrüßt. Einen Tag später stand er vor den Gesandten des Reichstages. Johann von Ecken, der Offizial des Erzbistums Trier, führte das Verhör und stellt ihm zwei Fragen: Zum ersten, ob er sich zu den unter seinem Namen erschienene Büchern bekenne und wenn ja, zum zweiten, ob er sich auch zu deren Inhalt bekenne oder ob er davon etwas zu widerrufen habe. Als Beweisstücke lagen ungefähr 20 Schriften aus. Die erste Frage beantwortete Luther ohne zu zögern mit „Ja“. Für die Beantwortung der zweiten Frage erbat er sich Bedenkzeit. Auf die Situation war der Reformator vermutlich nicht vorbereitet gewesen. Er hatte erwartet, dass ihm einzelne Sätze aus seinen Schriften vorgehalten würden und er mit seinen Widersachern diskutieren könnte. Hier sah er sich nun mit der Tatsache konfrontiert, dass sein gesamtes Werk zur Debatte stand.
Nachdem ihm eine Bedenkzeit unter der Bedingung gewährt wurde, dass er sich in freier Rede und nicht etwa schriftlich äußere, schrieb Luther in seiner Wormser Herberge die Ereignisse des Tages nieder, möglicherweise, um seine Gedanken zu ordnen und sich auf seine Rede am nächsten Tag vorzubereiten. Abrupt bricht er seine Aufzeichnungen ab. Dem Wiener Humanisten Johann Cuspinian schrieb er noch am gleichen Abend: „Ich werde mit dem gnädigen Beistand Christi in Ewigkeit keinen Buchstaben widerrufen.“ Am nächsten Tag teilte er den Versammelten des Reichstages mit, dass er keinen Grund zum Widerruf sehe, "wenn ich nicht durch Zeugnis der Heiligen Schrift oder klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch lauter ist. Gott helfe mir, Amen!"
Auf dem Wormser Reichstag hatten aber nicht nur Luther, sondern auch die Reichsstände, die Beschwerungen der Menschen durch die Papstkirche angeprangert. Für die weltlichen Fürsten war die Verhandlung der Luthersache ein willkommener Anlass, die Diskussion über die Rechte der Kurie zu beleben. Deshalb wurde der Wittenberger Professor auch durch die versammelten Stände noch einmal verhört, wohl mit der Absicht, einen Kompromiss herbeizuführen, der die Auffassungen Luthers zwar in großen Teilen verurteilte, aber die Verhängung der Reichsacht zu verhindern suchte. Aber der Reformator schlug diese Chance aus.
In Worms behielten die Luthergegner die Oberhand. Mit dem als Wormser Edikt bezeichneten Erlass, mit dem der Kaiser am 8. Mai 1521 die Reichsacht über Luther verhängte, wurde die Verbreitung der lutherischen Lehre verboten, die Verbrennung seiner Schriften angeordnet und Luthers Auslieferung nach Rom befohlen. Allerdings waren die meisten Fürsten am 26. Mai, als der Text des Erlasses bekanntgegeben wurde, bereits abgereist. Kurfürst Friedrich von Sachsen wusste es zu bewerkstelligen, dass er nie offiziell Kenntnis davon erlangte. Der Kaiser hatte andere, weitaus wichtigere Probleme als sich um einen aufmüpfigen Universitätsprofessor zu kümmern. Auch weilte er nach dem Wormser Reichstag fast zehn Jahre nicht mehr im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Das Wormser Edikt konnte letztendlich nicht durchgesetzt werden, die reformatorischen Ideen entwickelten sich weiter.
Übersetzung:
Luther‘s hand-written notes after his first hearing at the Diet of Worms, April 17th to 18th, 1521

The causa Lutheri (the case of Martin Luther) was by no way the only item on the agenda at the Diet of Worms, which was opened by the Holy Roman Emperor, Charles V, on January 27th, 1521. The maintenance of law and peace, order and constitution, rules for government during the absence of an emperor, imperial coronations and military aid against the Turks were all important for the continuing development of the Holy Roman Empire (Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation). However none these weighty political negotiations and decisions have had such an impact on history as the trial of Martin Luther.
On April 16th, 1521 this Professor from Wittenberg, who had been excommunicated by the Pope since the beginning of the year, arrived in Worms and was joyously welcomed by the people there. A day later he stood before the assembly. Johann von Eck, the assistant to the archbishop of Trier, conducted the hearing and asked two questions: Firstly, whether he admitted that the books were his, and if ‚yes‘ then the second question, whether he stood by their contents or if there was anything he wished to retract. Approximately 20 books were presented as evidence. Luther answered “Yes” without hesitation to the first question. He requested time to think about the answer to the second question. After the emperor had consulted for some time with the representatives (of the estates of the realm), he was granted time on condition that he delivered the answer orally and not in writing. Therefore Luther, who had appeared nervous to observers on this day and had spoken so quietly that he was hardly understood, was given leave.
In his hostel in Worms, he wrote down the events of the day, probably to gather his thoughts and to prepare himself for his speech the next day. He ends his notes abruptly. The same evening he wrote to the Viennese humanist, Johann Cuspinian, “With the merciful support of Jesus in eternity I will not retract a single letter.”
The next day he informed the assembly of the diet, that he sees no reason to retract, […] unless I am convinced by the testimony of the Scriptures and by clear reason; (for I trust in neither the pope nor the councils alone, for it has been ascertained that they have often erred and contradicted themselves), then I am bound by the scriptures I have quoted, and my conscience is captive to the Word of God. Therefore I cannot and will not retract anything, because it is neither safe nor wise to do anything against conscience, God help me. Amen! In 1521 everything was still in a state of flux, it was still unknown which way the scales could tilt. Luther had decried the hardship of the people cause by the papal church, as the estates had in general. The hearing of Luther‘s case at the diet was a welcome opportunity for the temporal lords to revive the debate about the rights of the Curia or papal courts.
In Worms Luther‘s opponents kept the upper hand. With the decree of May 8th, 1521 known as the Edict of Worms, the emperor placed an imperial ban on Luther, forbidding the distribution of Luther‘s teachings, arranging the burning of his writings and ordering his extradition to Rome. However most of the princes and dukes had already left by the time the contents of the decree were made public on May 26th. Frederick the Wise, Elector of Saxony, knew how to arrange things so that he was never officially informed of it. Additionally, if he had been required to carry out the decree, he could claim he did not know Luther‘s whereabouts. The emperor had other much more important problems to deal with than an insubordinate university professor. It was nearly ten years after the diet of Worms before he again spent time in the Holy Roman Empire. The Edict of Worms could not be enforced, meanwhile the reformatory ideas developed further.
Literatur:
Dagmar Blaha, Luther vor dem zweiten Verhör auf dem Reichstag in Worms - Beginn eines Redemanuskriptes in deutscher Sprache (17./18. April 1521), in: Meilensteine der Reformation. Schlüsseldokumente der frühen Wirksamkeit Martin Luthers, hg. von Irene Dingel/Henning P. Jürgens, Gütersloh 2014
Bemerkung:
Dieses Dokument wurde 2015 in das UNESCO-Weltregister "Memory of the World" aufgenommen und gehört damit zum Weltdokumentenerbe.