Historische Einordnung:
Zu Beginn des Jahres 1521 hatte sich die Situation Luthers dramatisch verschärft. Eigentlich wurde bereits im Sommer 1518 der Prozess wegen Ketzerei gegen ihn in Rom eröffnet, dieser zog sich aber auf Grund der Reichskonstellationen und der Kaiserwahl 1519 schon seit Jahren hin. Im Juli 1520 aber wurde schließlich doch die Bannandrohungsbulle in Rom veröffentlicht und Luther aufgefordert, zu widerrufen, andernfalls würde er exkommuniziert werden. Luther selbst erfuhr wahrscheinlich Anfang Oktober von der Veröffentlichung. Doch im Verlauf des Jahres 1520 entstanden Luthers wichtigste Rechtfertigungsschriften, in welchen er offen Fundamentalkritik an der Kirche übte. Die drei berühmtesten Werke waren „An den christlichen Adel deutscher Nationen“ „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Für ihn gab es keinen anderen Weg mehr als den klaren Bruch mit Rom zu vollziehen, da er darauf bestand, dass seine Werke und Äußerungen nur durch die Schrift, die Bibel, widerlegt werden sollten und er solange zu keinem Widerruf bereit war. Auf diese Forderung wollte Rom aber nicht eingehen. Der Konflikt drohte mehr und mehr zu eskalieren. Deutlichste Reaktion Luthers auf die Bannandrohungsbulle war die Verbrennung dieser zusammen mit dem kanonischen Recht, scholastischen Handbüchern und der Schriften der klaren Luthergegner Johannes Eck (1486-1543) und Hieronymus Emser (1478-1527) vor den Toren Wittenbergs. Nicht die Bücherverbrennung an sich war unerhört, war sie doch keine unübliche Praxis im Spätmittelalter, sondern die Auswahl der Werke. Damit erklärte Luther öffentlich die Nichtigkeit des päpstlichen Stuhls.
Ohne Widerrufung wurde damit am 3. Januar 1521 die Bannbulle rechtskräftig und Luther offiziell aus der Kirche exkommuniziert. Zu dieser Zeit war es üblich, dass ein Kirchenbann auch die Reichsacht nach sich zog, also der Bann auf die weltliche Sphäre übertragen wurde. Dabei kam die Rolle des Kaisers als weltliches Oberhaupt der Christenheit zum Tragen, der die Kirche in weltlichen Angelegenheiten zu schützen hatte. Zugleich hatte Kaiser Karl V. bei seiner Wahlkapitulation zugesichert, eine Reichsacht nur in Absprache mit den Reichsständen auszusprechen. Es stellte sich deshalb die Frage, wie er nun zur Luthersache Stellung bezog und ob er sich an die getätigte Absprache – ohne einen Alleingang vorzunehmen – hielt. Anfang 1521 zog Karl die Einladung Luthers zum Reichstag in Worms zurück, was für Luther absolut Besorgnis erregend war: „Ich bitte dich“ schrieb er Spalatin, „was kann sich daraus für eine Hoffnung ergeben, wenn sie so gesinnt sind und schreiben? Es geschehe der Willen des Herrn.“
Luther war in dieser Zeit darauf angewiesen, dass gerade sein Landesherr für ihn einstand, um sich doch noch auf dem Reichstag verteidigen zu können. Gerade beim „jüngeren Fürsten“, gemeint war damit Herzog Johann, Bruder des Kurfürsten Friedrich des Weisen, fand er rege Unterstützung, wie auch der vorliegende Brief verdeutlicht. In den kommenden Monaten sollte deshalb ein vehementes Ringen um die Vorladung auf den Reichstag nach Worms folgen.
In seinen Briefen an Spalatin diskutierte Luther nicht nur die politische und seine persönliche Situation, schickte nicht nur neue Werke von sich und anderen mit und besprach diese inhaltlich, sondern er nahm auch regelmäßig auf seine Zeitgenossen und deren Einfluss auf Politik und auf die evangelische Bewegung Bezug. Im vorliegenden Brief war es Ulrich von Hutten (1488-1523), der seine Aufmerksamkeit erregte. Zwar war man über die Werke des anderen informiert und tauschte gelegentlich Briefe aus, persönlich gekannt hatten sich die beiden aber nicht. Hutten, der ein Schriftsteller und lateinischer Dichter war, nahm seit Anfang 1518 lebhaften Anteil an Luthers Werdegang und versicherte diesem regelmäßig seinen Beistand – sah er doch in Luther den göttlichen Gesandten, einen Helfer, um gegen den Papst vorzugehen und die deutsche Nation vom „päpstlichen Joch“ zu befreien. Doch der Idee Huttens an einem „Pfaffenkrieg“, also einem offenen und radikalen Kampf gegen den „päpstlichen Tyrannen“ zu führen, scheiden sich die Geister. Luther, der seine Glaubensbewegung in Gefahr und seine Ideen missverstanden sah, wollte nicht, „dass mit Gewalt und Blutvergießen für das Evangelium gestritten wird.“ Denn Hutten war nicht in erster Linie ein überzeugter Lutheraner, sondern ein Reichspolitiker, der in der Berufung auf das Evangelium ein Mittel zum Zweck, um den Einfluss des Papstes im Reich zurückzudrängen sah. Luther plädierte deshalb dafür, dass gegen den „Antichristen“, also den Papst, nur durch das Wort und den wahren Glauben gekämpft werden dürfe.
Literatur:
Martin Brecht, Martin Luther. Bd. 1: Sein Weg zur Reformation 1483-1521. Stuttgart 1981.
Heinz Schilling, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. 2., durchges. Aufl. München 2013.
Johannes Schilling, Hutten und Luther, in: Ders. (Hrsg.), Ulrich von Hutten in seiner Zeit. Schlüchterner Vorträge zu seinem 500. Geburtstag. Kassel 1988, 87-115.
Heiko Wulfert, Die Kritik an Papstum und Kurie bei Ulrich von Hutten (1488-1523). (Rostocker theologische Studien 21) Berlin/Münster 2009.
Nachweis früherer Editionen:
Johann Aurifaber (Hrsg.), Epistolarum Reverendi Patris Domini D. Martini Lutheri, Tomus primus, Continens scripta viri Dei, ab anno millesimo quingentesimo septimo, usque ad annum vicesimum secundum. (Epsitolarum Martini Lutheri 1) Jena 1556, 332b f. [vollständig]
Wilhelm Martin Leberecht de Wette (Hrsg.), Dr. Martin Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedenken: vollständig aus den verschiedenen Ausgaben seiner Werke und Briefe, aus andern Büchern und noch unbenutzten Handschriften gesammelt, kritisch und historisch bearbeitet, Bd. 1. Berlin 1825, 543 f. [vollständig]
Ernst Ludwig Enders (Hrsg.), Dr. Martin Luther‘s Briefwechsel, Bd. 3: Briefe vom Dezember 1520 bis August 1522. Leipzig 1889, 73. [vollständig]
Johann Georg Walch (Hrsg.), Dr. Martin Luthers Sämmtliche Schriften, Bd. 15, Teil 1: Reformations-Schriften. Zur Reformationshistorie gehörige Documente A. Wider die Papisten. Aus den Jahren 1517 bis 1524, aufs Neue herausgegeben im Auftrag des Ministeriums der deutschen ev. luth. Synode von Missouri, Ohio und anderen Staaten. St. Louis 1899, 2505–2507. [vollständig, deutsche Übersetzung]
D. Martin Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe, Briefwechsel Bd. 2 (Briefe 1520-1522). Weimar 1931, Nr. 368, 248–250. [vollständig]
Kurt Aland (Hrsg.), Luther deutsch: die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, Bd. 10: Die Briefe. Göttingen 1959, Nr. 61, 81f. [Auszug, deutsche Übersetzung]
Bemerkung:
Orig.; 1 Blatt, Papier, 22,1 x 33,7cm, beidseitig beschrieben, Brief; Rückseite: Adresse; Verschlusssiegel des Ausstellers; Eigenhändige Ausfertigung