Schaufenster in die Reformationsgeschichte

Das Ausstellungsmodul des Projekts präsentiert in einem „Schaufenster“ ausgewählte Dokumente aus der Reformationszeit. Ergänzend zum Digitalisat finden sich jeweils eine Transkription, eine historische Erläuterung und eine Übertragung ins moderne Deutsch, in einigen Fällen auch ins Englische. So werden die Inhalte auch für den heutigen Leser mit geringeren Vorkenntnissen verständlich.
 

Die Dokumente sind verschiedenen, teils auch mehreren Schlagworten zugeordnet. So findet man z. B.  die Bannandrohungsbulle gegen Martin Luther unter „Leo X.“ oder unter „Martin Luther“ wieder.

Viel Vergnügen beim Stöbern und Erkunden!

Martin Luther berichtet Georg Spalatin über die Flucht von neun Nonnen aus dem Kloster Nimbschen, darunter seine spätere Ehefrau Katharina von Bora, und bittet für sie um eine Spendensammlung am kursächsischen Hof

Signatur:
LASA, Z 8, Nr. 197
Seitenangabe:
Array
Datierung:
10. April 1523
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Wichtige Orte:
4066640-2, 4117889-0
Historische Einordnung:
Mit seiner Schrift „De votis monasticis“ von 1521 formulierte Martin Luther sehr früh seine Kritik an den Mönchsgelübden und bewegte damit zahlreiche Mönche und Nonnen zum Austritt aus dem Kloster. Die Gelübde wiedersprachen nach Luthers Ansichten der Heiligen Schrift und der Schöpfung Gottes. Dies bezog sich gerade auf die Frauen, „die an sich allzu schwach und von Natur, ja von Gott aus, an den Mann gebunden“ seien, so schreibt Luther im vorliegenden Brief, aber dennoch gegen ihren Willen von ihren Verwandten ins Kloster geschickt würden. Dadurch werde der Dienst für Gott erzwungen und die Frauen würden regelrecht „zu Grunde gerichtet“.
Eine der bekanntesten Klosteraustritte war wohl der von Katharina von Bora (um 1499-1552), der späteren Ehefrau Luthers. Gemeinsam mit acht weiteren Nonnen war sie 1523 in der Nacht zum Ostersonntag aus dem Zisterzienserinnenkloster in Nimbschen (bei Grimma) mit der Hilfe des Torgauer Handelslieferanten, Ratsmeisters und Amtsschössers Leonhard Koppe geflohen.
Die Flucht nach Wittenberg geschah aus unterschiedlichen Motiven heraus: Zum einen erhofften sich die Nonnen von Luther selbst Hilfe und Rat – waren sie doch auch wegen seiner Schriften aus dem Kloster entlaufen, zum anderen wollten sie den schweren Strafen, die bei einer Klosterflucht nach dem kanonischen und Reichsrecht verhängt wurden, entgehen.
In dem Brief vom 10. April 1523 machte Luther die Flucht zum ersten Mal öffentlich bekannt und benannte neben den (Flucht-)Helfern auch alle geflohenen Nonnen namentlich. Neben bürgerlichen Frauen befanden sich unter den Geflohenen eine ganze Reihe adeliger Damen. Dies verweist eindrücklich auf die Bedeutung des Klosters als Versorgungsinstitution für den Landadel, welches eine standesgemäße Erziehung und Ausbildung der Töchter, die nicht verehelicht werden konnten, gewährleistete.
Doch was sollte mit den ehemaligen Klosterinsassen, gerade den Nonnen, geschehen? Sie mussten zunächst versorgt und ihnen musste eine Unterkunft bereitgestellt werden, hatten sie doch ihren gesamten Besitz im Kloster zurückgelassen. Aus diesem Grund erbat Luther in seinem Brief an Spalatin eine Geldsammlung am Hof des Kurfürsten durchzuführen, da er die Versorgung nicht aus eigenen Mitteln erbringen konnte.
Doch auch die Frage nach der weiteren Zukunft musste geklärt werden. Für Frauen blieben nach einem Klosteraustritt nur wenige Möglichkeiten, um ein „anständiges“ und „ehrenwertes“ Leben zu führen. Sie konnten in ihre Familien zurückkehren, sofern sie dies wollten bzw. von diesen überhaupt wieder aufgenommen werden konnten. Eine andere Option bestand in der Aufnahme einer eigenständigen Arbeit (z. B. als Näherinnen, Dienstmagd oder als Lehrerin an Mädchenschulen), wobei diese nur in seltenen Fällen tatsächlich gewählt wurde. Die meisten entschieden sich für die letzte Möglichkeit, für den Ehestand. Auch Luther wollte durch Vermittlung an ehemalige Geistliche oder Professoren dazu seinen Teil beitragen, wie er Spalatin versicherte. Für die Situation der meisten Nimbschener Nonnen war recht schnell Abhilfe geleistet, nur für Katharina von Bora wollte sich keine rechte Lösung einstellen. Erst mit der Eheschließung mit Luther selbst war auch ihre Zukunft nach damaligen Vorstellungen gesichert.
Nur kurze Zeit nach dem erklärenden Brief an Spalatin erschien Luthers Rechenschaftsbericht „Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen“, in dem er öffentlich die Klosterflucht der Nonnen thematisierte und aller Welt die Flucht als beispielhaft für ein christliches Leben und für die christliche Freiheit anpries. Er übernahm darin die Verantwortung für die Handlung der Nonnen und sprach sich abermals gegen die Lebensform der Klöster und das damit verbundene Frömmigkeitsverständnis aus.
Literatur:
Enno Bünz, Das Ende der Klöster in Sachsen. Vom „Auslaufen“ der Mönche bis zur Säkularisation (1521 bis 1543), in: Harald Marx/Cecilie Hollberg (Hrsg.), Glaube und Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit. Aufsätze. Dresden 2004, 80-90.
Anne-Katrin Köhler, Geschichte des Klosters Nimbschen. Von der Gründung 1243 bis zu seinem Ende 1536/1542. Mit einem Exkurs: Zisterzienserinnen zwischen Saale und Neiße im 13. Jahrhundert und ihre Stellung zum Orden. (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte Bd. 7) Leipzig 2003.
Andreas Ranft, Katharina von Bora, die Lutherin – eine Frau von Adel, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 50 (2002), Heft 8, 708-721.
Heinz Schilling, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. 2., durchges. Aufl. München 2013.
Nachweis früherer Editionen:
Johann Aurifaber (Hrsg.), Continens Scriptas Ab anno Millesimo quingentesimo vigesimosecunduo, vsq[ue] in annum vigesimum octauum. (Epsitolarum Martini Lutheri 2) Jena 1565, 130b–131b. [vollständig]
Wilhelm Martin Leberecht de Wette (Hrsg.), Dr. Martin Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedenken: vollständig aus den verschiedenen Ausgaben seiner Werke und Briefe, aus andern Büchern und noch unbenutzten Handschriften gesammelt, kritisch und historisch bearbeitet, Bd. 2. Berlin 1826, 319 f. [vollständig]
Ernst Ludwig Enders (Hrsg.), Dr. Martin Luther‘s Briefwechsel, Bd. 4: Briefe vom September 1522 bis August 1524. Leipzig 1891, 127. [vollständig]
Johann Georg Walch (Hrsg.), Dr. Martin Luthers Sämmtliche Schriften, Bd. 21, Teil 1: Dr. Luthers Briefe nebst den wichtigsten Briefen, die an ihn gerichtet sind, und einigen anderen einschlagenden interessanten Schriftstücken. Briefe vom Jahre 1507 bis 1532 incl., aufs Neue herausgegeben im Auftrag des Ministeriums der deutschen ev. luth. Synode von Missouri, Ohio und anderen Staaten. St. Louis 1903, 496–498. [vollständig, deutsche Übersetzung]
D. Martin Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe, Briefwechsel Bd. 3 (Briefe 1523–1525). Weimar 1933, Nr. 600, 54–57. [vollständig]
Bemerkung:
Orig.; 1 Blatt, Papier, 21,4 x 15,4 cm, beidseitig beschrieben, Brief; ohne Verschlusssiegel des Ausstellers; Eigenhändige Ausfertigung